Sprechen über Migration – Argumentationen

Die Auswertung der Tageszeitungen stützt sich auf geäußerte Argumente (die immer Bestandteil von Diskursen sind) und auf deren tiefensemantische Analyse. Argumentiert wird, um Meinungen zu erklären, politische Maßnahmen durchzusetzen oder Handlungen zu rechtfertigen. Die im Alltagswissen gespeicherten Muster des Argumentierens bzw. im kollektiven Gedächtnis vorhandenen Denkfiguren werden in den Medien für politische Zwecke und Intentionen eingesetzt. Da die Argumente in den Diskursen meist nicht explizit genannt werden, sondern implizit bleiben, muss das Gesagte zunächst interpretativ erschlossen werden. Dies geschieht, indem aus den impliziten Argumenten Schlussregeln, also Argumentationsmuster/Topoi abgeleitet werden. Denn verglichen werden können nicht die Argumente, sondern die Schlussregel bzw. Topoi. Diese können dann aus einer Vielzahl von Texten und aus verschiedenen Zeiträumen gegenübergestellt werden. Diese Methode der diskurshistorischen vergleichenden Argumentationsanalyse geht zurück auf den deutschen Sprachwissenschaftler Martin Wengeler.¹

Argumentationen:

„Der Staat habe Südtirol völlig unvorbereitet vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Frage Franz Pahls, ob er für künftige Flüchtlingsfälle Strukturen schaffen wolle, lehnte Durnwalder mit der Begründung ab, er wolle nicht, daß Südtirol eine Sogwirkung auf Asylanten ausübe.“
(Dolomiten 11.07.1991)

„Wenn man für diese Flüchtlinge eine Lösung gefunden
habe, könnten über Mundwerbung neue angezogen werden. Die Gemeinde solle auf einem Provisorium beharren, sagte Messner“ (Dolomiten 10.05.1996)

„Südtirol darf kein Schlaraffenland für Zuwanderer werden und auch kein Elderado für Wirtschaftsflüchtlinge aus Nicht-EU-Ländern, denn so etwas spricht sich sehr schnell herum.“ (Dolomiten/Leserbrief 18.07.2007)

Argumentationsmuster/Topos:

Weil Großzügigkeit gegenüber Migrant_innen und Flüchtlingen die Zuwanderung verstärkt, sind Handlungen zu unterlassen, die Südtirol zu „attraktiv“ für Zuwanderung machen.

In Südtirol stoßen wir auf die Tatsache, dass die zwei großen Tagesblätter in zwei unterschiedlichen Sprachen berichten und auch ihre jeweilige Sprachgruppe und Kultur repräsentieren. Auch deshalb ist die Argumentationsanalyse besonders geeignet, da die Lexik nicht im Vordergrund steht. Bei der Gegenüberstellung der „Alto Adige“ und der „Dolomiten“ kann zwar nicht von einem internationalen Vergleich gesprochen werden, trotzdem haben wir es mit zwei unterschiedlichen Kulturen zu tun, die zwei unterschiedliche Sprachen sprechen und eine Art Parallelgemeinschaft führen. Dieser interlinguale und doch intranationale Aspekt ist für die Auswertung nicht unbedeutend, da auch die Denkmuster/das kulturelle Gedächtnis kein Gemeinsames sind. Die unterschiedlichen Sprachgruppen argumentieren auch unterschiedlich, diese Divergenz wird besonders deutlich, wenn es prototypische Argumente gibt, die nur für eine Sprachgruppe charakteristisch sind.

¹Wengeler, Martin, Topos und Diskurs. Begründung einer argumentationsanalytischen Methode und ihre Anwendung auf den Migrationsdiskurs (1960–1985), Tübingen 2003 (Reihe Germanistische Linguistik 244)