„Soziale“ Medien und Migration

von Eva Pfanzelter

Die mittlerweile weltweit vorherrschende extensive Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im Zusammenhang mit Migration stellt ein relativ junges Forschungsfeld dar und ist vor allem in Europa ein noch weitgehend unterbeachteter Bereich, auch wenn die Bedeutung von Technologie auf Migration unbestritten ist. Nationale und regionale Analysen fehlen demnach auch für Italien und für Südtirol, sowohl was den Bereich der Nutzung von IKT durch Migrantinnen und Migranten angeht, als auch welche Rolle digitale bzw. soziale Medien im Hinblick auf Migrationswünsche oder etwa Zielländer spielen. Weitgehend ignorierte Untersuchungsgegenstände sind ferner jene Online-Diskurse, die in den Zielgesellschaften stattfinden und im Internet in Foren, auf Facebook und YouTube ausgetragen werden. Im Rahmen des Projektes erfolgte eine Analyse von deutschsprachigen Südtiroler Seiten aus dem sozialen Netzwerk Facebook: Durch eine genaue Untersuchung der Seiten „Südtiroler Diskussionsplattform zur aktuellen Flüchtlingsthematik“, „Iats reichts!!!“, „Solidarität mit Flüchtlingen – solidarietà con i profughi“ und „Menschen gegen Flaschen – solidarietà con i minacciati“ soll ansatzweise Einblick geben, wie Migration unter den (vornehmlich jungen, vornehmlich einheimischen) Nutzerinnen und Nutzern verhandelt wird.

Die beherrschenden Themen auf den historisch jungen Seiten (die älteste gibt es seit 2012) zeigen eindrücklich, welche bereits mehrfach nicht nur medial etablierten Stereotype, Vorurteile und Feindbilder weiterleben bzw. wieder leben. Gerade darin unterscheiden sie sich nicht von herkömmlichen Massenmedien. Vor allem aber wird hier deutlich, dass sich diese gegenkulturellen Migrationsdiskurse nicht von jenen anderer Regionen Europas unterscheiden: Dieses Südtirol, das mit seinen drei Sprachgruppen und der geltenden Autonomieregelung gern als Vorbild für ethnisches Zusammenleben und Multikulturalität herangezogen wird, findet sich im Umgang mit neuer Migration nicht als etwas Besonderes wieder – weder im positiven noch im negativen Sinne. Die Migrationsdiskurse von Südtirolerinnen und Südtirolern im Netz zeigen im Gegenteil, dass ethnisch und sprachlich unabhängig, Zuwanderung weitgehend unreflektiert als Bedrohung wahrgenommen wird und Themen über Einwanderung und Flucht einen idealen Nährboden für sprachliche Entgleisungen, politische Instrumentalisierungen und ideologische Etikettierungen darstellen.

Facebook hat sich dabei als ideales Medium zum unzensurierten Äußern der eigenen Meinung erwiesen. Meist geschieht dies mittels Verlinkung von Beiträgen, die dem jeweiligen User im Netz auffallen und die er oder sie dann mehr oder weniger kommentiert auf Facebook-Gruppen verlinkt und teilt bzw. solche Verlinkungen kommentiert. Für die Analyse der Inhalte werden die Themen und Argumente untersucht, sodass sich z. B. folgendes Themenraster ergeben kann – hier für die Facebook-Gruppe „Südtiroler Diskussionsplattform …“

In jedem dieser Bereiche wird danach die Stimmung zu den jeweiligen Bereichen analysiert. Graphisch visualisiert ergeben sich so Stimmungsbarometer zu den einzelnen Themen – hier wieder beispielsweise für die Facebook-Gruppe „Südtiroler Diskussionsplattform …“ im Themenbereich „Werte“:

 

Soziale Netzwerke sind ein Ventil für Mitsprache – das gilt für Einheimische und Menschen aus dem Ausland gleichermaßen. Dennoch sind die Einwandernden und Schutzsuchenden in den hier untersuchten Facebook-Gruppen, anders als beispielsweise bei der italienweit prominent auftretenden Seite „Accoglienza“, nicht präsent: Hier sprechen Einheimische über Migration, die Betroffenen selbst kommen oft nicht zu Wort. Ein Teil der Postings und Kommentare auf den Seiten der Facebook-Gruppen fällt in den Themenkreis der (rechten) subversiven Gegenkultur: Die Haltung ist Anti-Establishment, Anti-Klassische-Medien, Anti-Herrschende-Politik und überhaupt Anti-Mainstream. Vielen Usern fällt es offensichtlich im Netz leichter, moralische Schranken zu überwinden und unflätig z. B. rassistische Kommentare von sich zu geben. Hier nutzen Einheimische – im Übrigen ebenso wie Migrantengruppen, wenn wir z. B. an Salafistennetzwerke denken – das Netz als Forum für Anti-Establishment-Provokationen, für protestierende Gegenöffentlichkeit und um soziale bzw. politische Veränderungen einzufordern.

Die Themen, die dabei verhandelt werden, sind weder neu noch einzigartig: Stereotype und Feindbilder dominieren weitgehend die Diskurse. Ähnlich wie in seriösen Medien beherrschen die Hervorhebung von Migration als Bedrohung bzw. als Sensationsdarstellungen diese Themen in den untersuchten Seiten. Die diskutierten Themen auf den vorliegenden Facebook-Seiten haben schon längst die Ära der Post-Truth-Politics und damit die postfaktische Ära erreicht: Fakten werden als nicht relevant hingestellt, gefühlte Wahrheiten sind das Maß der Dinge. In zahlreichen kommunikationswissenschaftlichen Untersuchungen wird darauf hingewiesen, dass Falschmeldungen, Übertreibungen und auch hate speech im Netz durch die Schwarm-Intelligenz, also das Korrektiv der Masse der User ausgeglichen wird. Tatsächlich hat, wer diese Gruppen-Seiten administriert, wenig Möglichkeiten, in Diskussionen einzugreifen, wenn nicht die gesamte Diskussion moderiert werden soll. In einigen Gruppen sind manchmal tatsächlich die User selbst untereinander mit Kommentaren nicht sparsam.

Südtirol ist nicht anders. Auch hier wird von und über Migration in allen Kontexten gesprochen, auch hier steht das Sensationelle, Katastrophale, Aufsehenerregende im Mittelpunkt der Diskurse. Das Alltägliche von Schutzsuchenden, das Normale von Migration ist noch lange nicht in der Gesellschaft angekommen, wie es überhaupt durch die Aufgeregtheit der letzten Monate europaweit im Rückzug begriffen ist. Die Algorithmen der Suchmaschinen und der „sozialen“ Medien leisten dadurch, dass sie die Tendenzen von „gleich und gleich gesellt sich gern“ verstärken, einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu.