Flüchtlingspolitik

Schlüsseldokumente als Zeugen eines politischen Diskurses

von Franziska Niedrist und Sarah Oberbichler

Flucht und Vertreibung bilden zweifelsohne höchst aktuelle und überaus brisante Themen. Die Flucht von über 60 Millionen Menschen aus dem Nahen Osten, Afrika sowie Asien hat auch Europa in jüngster Zeit erneut vor unzählige Herausforderungen gestellt. Vergessen wird jedoch allzu häufig, dass weder Flucht noch Verfolgung oder die Aufnahme von Schutzsuchenden neuartige Phänomene für Europa und damit auch für Südtirol darstellen:
Bereits nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Provinz Bozen mit einem Flüchtlingsstrom aus Deutschland und Österreich konfrontiert. Während der 1990er-Jahre erfolgten in der Folge des Zusammenbruchs der politischen Systeme Osteuropas die nächsten Massen-Fluchtbewegungen nach Italien und Südtirol. Seit 2011 hat erneut eine Massenbewegung von globalem Ausmaß eingesetzt, im Zuge derer Hunderttausende Flüchtende aus Asien, Afrika und dem Nahen Osten in Europa Schutz vor Verfolgung, Terror und Krieg suchen. Südtirol war dabei weder damals noch ist es heute ein Einreiseland – es bildet(e) vielmehr ein Durchzugsgebiet auf dem Weg in andere, nördlicher gelegene Länder Europas.

Italien und damit auch dessen nördlich gelegene Autonome Provinz Bozen-Südtirol erweisen sich im europäischen Vergleich als relativ junge Einwanderungsgebiete. Erst Jahre nach dem Eintreffen der Flüchtlingsströme Anfang der 1990er-Jahre setzten Diskussionen in Öffentlichkeit und Politik ein. Die Kompetenzen im Bereich der Einwanderung, speziell im Bereich des Asylrechts und der Flüchtlingsaufnahme, liegen weitgehend beim italienischen Staat. Allein die Mithilfe in der sozialen Betreuung der Flüchtlinge steht im Einflussbereich des Landes Südtirol. Es liegt daher nahe, dass der Handlungsspielraum aufgrund dessen vor allem im rechtlichen Kontext eingeschränkt ist. Dennoch bieten sich der Südtiroler Landesregierung durchaus Gestaltungsmöglichkeiten, so etwa in Bezug auf die Bereiche Gesundheitswesen, Schulwesen oder Wohnbau.

(Die Forschungsergebnisse im Detail finden sich im Beitrag von Sarah Oberbichler und Franziska Niedrist: „Flucht nach Südtirol: Der politische Diskurs seit 1990“, der im folgenden Sammelband erschienen ist: Eva Pfanzelter/Dirk Rupnow: einheimisch – zweiheimisch – mehrheimisch. Geschichte(n) der neuen Migration in Südtirol. Bozen 2017.)