Der Zeitungskorpus „Migration in Südtirol“ umfasst insgesamt 19.813 ausgewählte Zeitungsartikel zum Thema Migration und Südtirol. Grundlage für den Korpus bilden die zwei auflagestärksten Tageszeitungen Südtirols, die italienischsprachige „Alto Adige“ und die deutschsprachige „Dolomiten“. Der Korpus setzt sich aus Daten aus den Jahren 1990 bis 2014 zusammen. Dieser Zeitrahmen ergibt sich durch die Tatsache, dass sich Südtirol erst in den 1990er-Jahren von einem Auswanderungsland zu einem Einwanderungsland entwickelte. 9.081 Artikel im Korpus sind der „Dolomiten“ zuzuschreiben und 10.723 Artikel der „Alto Adige“. Da die Forschungsfragen sich auf Südtirol beziehen, wurde bei der Erstellung des Datenkorpus lediglich die regionale Berichterstattung beider Tageszeitungen berücksichtigt.
Der Korpus hätte nicht ohne die Hilfe mehrerer Institutionen und Personen erstellt werden können: Bereits digitalisierte Bestände der „Alto Adige“ wurden freundlicherweise von der Bozner Stadtbibliothek „Cesare Battisti“ zur Verfügung gestellt, bei der Beschaffung von Textdateien der „Dolomiten“ aus dem „Dolomiten-Archiv“ der Athesia GmbH stand Armin Sparer stets zur Verfügung und die Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann kooperierte bei der Digitalisierung von Teilen der „Alto Adige“.
Folgende interaktive Grafik zeigt den Zeitverlauf der Berichterstattung. Die „Dolomiten“ und die „Alto Adige“ werden dabei gegenübergestellt. Wichtige Ereignisse und Diskurse, Wahlen und Gesetze, die die Berichterstattung beider und in einzelnen Fällen auch nur einer der beiden Tagesblätter beeinflussten, werden in der interaktiven Grafik angezeigt. Um zusätzlich zu ausgewählten Zeitungsartikeln beider Tageszeitungen zu gelangen, klicken Sie auf das Feld „Zu thematisch ausgewählten Artikeln aus dem Korpus“.
Themen, die in den 1990er-Jahren die Migrationsberichterstattung beherrschten, waren einerseits die Errichtung illegaler Barackensiedlungen in Bozen von Zugewanderten aus Nord-, Zentral- und Südafrika und andererseits die Ankunft von Flüchtlingen aus Albanien und Ex-Jugoslawien. Während die Migrant_innen in den Barackensiedlungen jedoch mit überwiegend negativen Schlagzeilen etikettiert wurden, gab es für Flüchtlinge in den 1990er-Jahren mehr Verständnis und Hilfsbereitschaft – mit Ausnahme der Roma-Flüchtlinge aus Mazedonien, die in sogenannten „Zigeunerlagern“ Unterkunft fanden. 1996 wurde das „Lager“ der Roma-Flüchtlinge am Ex-Vives Gelände in Bozen schließlich aufgelöst und die Flüchtlinge in Vahrn und Meran untergebracht – nicht ohne Protestkundgebungen durch die Bewohner der beiden Orte. Im Jahr 2002 waren Saisonarbeitskräfte aufgrund fehlender Kontingentzuweisungen ein wichtiges Gesprächsthema in Südtirol, aber lediglich die deutschsprachige „Dolomiten“ berichtete regelmäßig über die einzelnen Umstände. Dies lag nicht zuletzt daran, dass die sogenannten „Gastarbeiter_innen“ in den Bereichen Tourismus und Landwirtschaft dringend gebraucht wurden, beides Sektoren, in denen vorwiegend Deutschsprachige tätig waren und sind. Die italienischsprachige Bevölkerung arbeitete und arbeitet hingegen eher in der Industrie.
Wie häufig und wann in den Tageszeitungen über Saisonarbeitskräfte oder andere „Einwanderungsgruppen“ gesprochen wurde, kann hier eingesehen werden: Einwanderungsgruppen
Debatten um Integration, Wohnbauförderung für Zugewanderte sowie Moscheebauten dominierten in den Jahren zwischen 2006 und 2009 die Migrationsberichterstattung beider Tageszeitungen. In der „Alto Adige“ führten außerdem bevorstehende Wahlen (2006: Parlamentswahl, 2008: Landtagswahl und Parlamentswahl sowie 2009: Europawahl) zu einer erhöhten Präsenz von Migrationsthemen in der Presse. In der „Dolomiten“ schien hingegen lediglich die Landtagswahl 2008 großen Einfluss auf den Umfang der Berichte zu haben. Eine Korrelation zwischen einzelnen politischen Wahlen und Nachrichteninhalten, die Migration zum Thema machten, ließ sich in den Jahren zwischen 2006 und 2009 in beiden Tageszeitungen demzufolge herstellen.
Nennung politischer Parteien im Migrationsdiskurs:Parteien
Auffällig ist zudem, dass in beiden Tageszeitungen in den Jahren 1998 (Landtagswahl) und 2002 (Bossi-Fini Gesetz) deutlich häufiger über Migrant_innen gesprochen wurde, die „illegal“ nach Südtirol kamen oder durch Südtirol reisten, als dies sonst der Fall war. Auch hier konnte ein eindeutiger Zusammenhang zwischen einem politischen Ereignis und der Medienzuwendung hergestellt werden. Ebenfalls im Jahr 2006 (Parlamentswahl) füllten Berichterstattungen über illegal Zugewanderte die Schlagzeilen, diesmal jedoch lediglich in der „Alto Adige“. Während lokale Wahlen sich auf den Migrationsdiskurs beider Tagesblätter auswirkten, beeinflussten nationale oder europäische Wahlen vorwiegend die Nachrichteninhalte der „Alto Adige“ (2006 oder 2009) . Nicht mit regionalen bzw. nationalen Wahlen, sondern mit der Verabschiedung des Landesgesetzes „Integration ausländischer Bürgerinnen und Bürger“ im Jahr 2011, hing eine erneut aufflammende Integrationsdebatte in den Jahren 2010 und 2011 zusammen. Ebenfalls wurde der Ankunft von Flüchtlingen als Folge des „Arabischen Frühlings“ große Beachtung geschenkt. Im Rahmen der hoch emotional geführten „Stopp der Gewalt„-Debatte der „Dolomiten“, die sich gegen Übergriffe von Eingewanderten richtete, wurde das Thema Migration erneut stärker aufgegriffen. Ab 2014 waren hingegen die Flüchtlinge aus Asien, Afrika und dem Nahen Osten Hauptaugenmerk der Migrationsberichterstattung. Natürlich gab es auch Sachverhalte, die durchgehend eine wichtige Rolle spielten. Dazu gehörten die Frage nach der Unterbringung von Zugewanderten und Flüchtlingen sowie die Gewalt- und Kriminalitätsberichterstattung (darunter auch Illegalität): Beides Themen, denen in diesen 25 Jahren in Relation gesehen überproportional viel Raum zugesprochen wurde.